Economies of Crime

Die neue Ausgabe des Universitätsmagazins HSG FOCUS widmet sich den vielschichtigen Schnittstellen von Wirtschaft, Recht und Kriminalität – von globalen Drogenmärkten über Alltagsfälschungen bis hin zu Bilanzbetrug und organisierter Kriminalität in der Schweiz. Die Beiträge zeigen, wie sehr illegale Praktiken auf legale Strukturen angewiesen sind – und wo Politik, Regulierung und Gesellschaft gefordert sind.​
«Zahlen und Fakten zur globalen Schattenwirtschaft»: Das Video von Daniel Sager bietet einen Überblick über Ausmass und geografische Aspekte der wichtigsten illegalen Märkte weltweit.
«Chemie und Technologie beflügeln den Drogenhandel»: Matías Dewey und Alvaro Pastor machen deutlich, wie eng der illegale Drogenhandel mit legalen Märkten verflochten ist. Chemikalien aus der globalen Industrie, unterschiedliche staatliche Regulierungen und digitale Technologien ermöglichen flexible, schwer kontrollierbare Wertschöpfungsketten. Vom Kokaanbau im peruanischen Amazonasgebiet bis zu verschlüsselten Messengern und digitalen Zahlungssystemen zeigt der Beitrag, dass illegale Ökonomien ohne legale Infrastrukturen nicht funktionieren – und warum Regulierung, Plattformkontrolle und staatliche Durchsetzung neu gedacht werden müssen.​
«Der Homo Oeconomicus in der Kriminalität»: Nora Markwalder fragt, ob Straftäter rational handeln. Sie erläutert rationale Kriminalitätstheorien, nach denen Täter Kosten und Nutzen abwägen und Gelegenheiten gezielt nutzen – ein Ansatz, der Prävention ermöglicht. Zugleich zeigt sie die Grenzen dieser Sicht auf: Viele Delikte entstehen ohne rationales Kalkül und sind stärker von sozialen oder psychischen Faktoren geprägt.
Markus Müller-Chen beleuchtet in seinem Artikel «Das Gucci-Täschlein und das grosse Geschäft mit gefälschter Ware» den milliardenschweren Handel mit Produktfälschungen. Hohe Originalpreise, Statusdenken, Online-Verfügbarkeit und täuschend echte «Superfakes» treiben die Nachfrage. Der Beitrag zeigt rechtliche Gegenmittel, aber auch die Risiken für Unternehmen, Arbeitsplätze und Käufer, die sich strafbar machen können.​
Unter dem Titel «Bilanzskandale: Es endet häufig hässlich, wenn man die Zahlen aufhübscht» analysiert Peter Leibfried die Gemeinsamkeiten hinter Fällen wie Wirecard, Enron oder Signa. Dabei zeigt sich, dass sich trotz Regulierung Muster wiederholen: überbewertete Vermögen, versteckte Schulden, falsche Konsolidierung. Oft beginnt es mit Druck und Grauzonen, nicht mit Vorsatz. Leibfried plädiert für bessere Ausbildung, ethisches Bewusstsein und den kritischen Umgang mit Finanzdaten.​
«Die Mafia ist überall. Sogar im Schrebergarten»: Henry Habegger zeigt, wie organisierte Kriminalität von liberalen Strukturen in der Schweiz profitiert. Milde Strafen, Föderalismus und Vollzugsdefizite schaffen Schlupflöcher. Erste Reformen deuten auf ein Umdenken hin – entscheidend bleibt jedoch die konsequente Durchsetzung.

Studie

Paredes, Maritza, and Alvaro Pastor. 2023. “Illicit crops in the frontier margins: Amazonian indigenous livelihoods and the expansion of coca in Peru.” The Journal of Peasant Studies, 51(4), 960–981.

Die Ausweitung der Koka-Kokain-Märkte im Amazonasgebiet ist nicht allein auf Staatsversagen oder kriminelle Gruppen zurückzuführen. Dieser Artikel zeigt auf, wie langfristige Entwicklungsprojekte im Amazonasgebiet häufig zur Erschliessung neuer landwirtschaftlicher Gebiete, zu Ansiedlungen und zur Veränderung der Ökologie führen. Die unbeabsichtigten Folgen dieser staatlichen Entwicklungsprojekte sind die fortschreitende Verarmung der lokalen landwirtschaftlichen Gemeinschaften, die Verschlechterung der Bodenqualität und die Verschlechterung der Landbesitzverhältnisse. In diesem Szenario erweisen sich Kokapflanzen als die praktikabelste Option zur Sicherung des Lebensunterhalts, auch für indigene Völker.

Studie

Dewey, Matías, and Andrés Buzzetti. 2024. «Easier, Faster and Safer: The Social Organization of Drug Dealing through Encrypted Messaging Apps.» Sociology Compass 18 (2): e13175.

Die Digitalisierung beschränkt sich nicht nur auf die legale Wirtschaft. Sie durchdringt auch illegale Märkte, macht den Austausch von Waren und Dienstleistungen einfacher und erschwert gleichzeitig Ermittlungen. Diese Studie zeigt beispielsweise, dass völlig legale Apps für den Verkauf von Drogen eingesetzt werden. Die Erfahrungen von Drogenverkäufern und -konsumenten sind eindeutig: Apps wie Telegram machen den Drogenhandel einfacher, schneller und sicherer. Dieser Artikel war der erste, der dieses Phänomen ans Licht brachte.

Webseite

Stop Piracy

Die Schweizer Plattform «Stop Piracy» bietet verlässliche, faktenbasierte Informationen zu Fälschungen und Piraterie und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Besonders hilfreich sind die kompakten Merkblätter, die anschaulich zeigen, woran man Fälschungen und unseriöse Online-Anbieter erkennt. Wer sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch mit dem Thema auseinandersetzen möchte, findet hier eine ausgezeichnete Anlaufstelle.

Buch

Beckert, Jens, and Matias Dewey. 2017. The Architecture of Illegal Markets. Towards an Economic Sociology of Illegality in the Economy.

Wer verstehen will, wie illegale Märkte funktionieren – und nicht einfach davon ausgeht, dass sie lediglich eine Folge krimineller Organisationen oder gescheiterter Staaten sind –, bietet dieses Buch eine neue Perspektive auf schwer zu erforschende Wirtschaftssysteme. Es befasst sich mit zusätzlichen Elementen, die Wirtschaftssysteme ausserhalb des Gesetzes ausmachen, wie Kredite, Infrastruktur, soziale Akzeptanz und die Bedeutung von Waren. Es ist der erste ernsthafte Versuch, illegale Märkte aus soziologischer Perspektive zu konzeptualisieren, zu klassifizieren und zukünftige Forschungsrichtungen vorzuschlagen.

Buch

Christof Schürmann: Die Bilanztrickser - wie Unternehmen ihre Zahlen frisieren und den Anleger täuschen

Christof Schürmann hat als Journalist bei der WirtschafsWoche über viele Jahre die Berichterstattung von Unternehmen kritisch begleitet. Dabei schaut er nicht nur auf die allgemeine betriebs- und finanzwirtschaftliche Entwicklung, sondern setzt sich auch mit den dazugehörigen Fragen von Rechnungslegung und Bilanzierung auseinander. Er zeigt, wo Spielräume bestehen, und liefert Beispiele, wie diese genutzt werden.

Studie

Counterfeiting, Piracy and the Swiss Economy 2025

Für eine zusätzlich ökonomische Perspektive: Die OECD-Studie beleuchtet die volkswirtschaftlichen Folgen von Fälschungen und Piraterie in der Schweiz. Sie zeigt, wie stark besonders exportorientierte Branchen wie die Uhren- oder Pharmaindustrie betroffen sind, und liefert aktuelle Daten zu Handelsrouten, Schadenssummen und globalen Zusammenhängen.

Film

Martin Scorsese: «The Wolf of Wall Street» (2013)

Wer wissen möchte, wie Gelegenheiten Delikte begünstigen, dem sei der Film «The Wolf of Wall Street» empfohlen. Der Film basiert auf der Geschichte des Börsenmaklers Jordan Belfort und spielt in den 1980er und 1990er Jahren in New York. Tatort ist der kaum regulierte Markt für sogenannte «Pennystocks». Der Film zeigt auf, wie einfach Marktmanipulationen und der Betrug argloser Kundinnen und Kunden damals waren und wie gering die Chance, erwischt zu werden – vor allem, wenn man die Finanzaufsichtsbehörden in eisig gekühlte Büros einsperrt…

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